Eine neuheidnische (Asatru) Beerdigung 2021

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volker
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Eine neuheidnische (Asatru) Beerdigung 2021

Beitrag von volker »

Seit einigen Jahrzehnten gibt es in Deutschland, genau wie in einigen anderen europäischen Ländern, wieder neuheidnisch orientierte Menschen, die für sich die alten Mittel- und Nordeuropäischen Glaubensinhalte entdeckt haben. Im Umfeld des Eldaring e.V. sind dies wohl überwiegend Menschen die sich an alten bzw. vermutet alten Glaubenspraktiken der germanischen Kultur- und Sprachgruppen oder dem was davon noch erschlossen oder rekonstruiert wurde oder gar neu interpretiert wird, orientieren.
Nach einigen Jahrzehnten bleibt es früher oder später nicht aus, dass unter den inzwischen knapp 400 Vereinsmitgliedern des Eldaring e.V. oder aus dem befreundeten Umfeld zu diesem Verein Menschen versterben.
Genau dies ist in meinem Freundeskreis passiert. Anfang des Jahres erreichte mich durch meinen Freund Olaf Hoppe die traurige Nachricht, dass seine Frau Pia Hoppe, völlig überraschend mit gerade einmal 59 Jahren verstorben ist. Ich hatte selbst oft und gerne mit Pia und Olaf heidnische Feste, sogenannte Blots gefeiert und die beiden dabei auch oft und gerne in Mecklenburg-Vorpommern, an ihrem Wohnort besucht.
Das war auch der Grund, weshalb mich Olaf als ihr hinterbliebener Witwer bat, doch einmal zu überlegen ob ich nicht einen Bericht über die heidnische Beerdigung schreiben möchte, denn da die neuheidnische Bewegung ja noch nicht so alt ist, gab es ja noch nicht besonders viele heidnische Beerdigungen. Ich habe dann mit Olaf besprochen wie so ein Bericht aussehen könnte um eine gewisse Pietät zu bewahren und dieses Thema mit dem nötigen Anstand und Respekt zu bearbeiten. Daher habe ich Olaf als Hinterbliebenen vorab die Fassung dieses Berichtes zur Prüfung und Freigabe übersandt um sicherzustellen, dass die Hinterbliebenen damit auch einverstanden sind.
Nachdem ich die traurige Nachricht von Pias Ableben bekommen hatte stand ich mit Olaf in ständigem Telefonkontakt. Hintergrund war, dass Olaf eine heidnische Beerdigungszeremonie für Pia ausrichten wollte, dies aber durch die gerade gültigen Lockdownmassnahmen wegen Covid-19 schon sehr schwierig zu gestalten war und das Ganze auch noch durch den Umstand erschwert wurde, dass die Urnenbestattung auf einem Waldfriedhof stattfinden sollte, auf dessen Gelände auch besondere Regeln und Verbote der Friedhofsordnung gelten. Zunächst haben wir uns gemeinsam durch die vielen Regeln der Covid-19 Verordnungen zu Beerdigungsfeiern durchgearbeitet und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der geplanten Beisetzung maximal 20 Personen auf dem Friedhofsgelände zur Beisetzung zugelassen waren und natürlich Abstandsregeln, Mund-Nasenschutzmaskenpflicht bestand usw... Damit nicht genug war dem Umstand des Waldcharakters des Friedhofs geschuldet, dass selbst die offene Flamme einer Kerze nicht statthaft war, eine Räucherung auf dem Friedhofsgelände ebenso verboten war und an eine Feuerschale oder dergleichen war ohnehin gar nicht erst zu denken. Aber Olaf hatte Ideen. Nachdem ich mit einer Einladung zur Beerdigung geehrt wurde und damit zu dem kleinen Kreis der 20 zugelassenen Teilnehmern gehörte musste ich mich erst einmal um eine Genehmigung zur Einreise nach Mecklenburg-Vorpommern kümmern. Da wurden Erinnerungen an die glücklicherweise längst überwundene deutsche Teilung wach und ich sah mich schon mit der obligatorischen Frage eines übelgelaunten Grenzers beim Vorzeigen des Passierscheines konfrontiert, ob ich Zeitschriften, Waffen oder sonstige verbotene Gegenstände in den Arbeiter- und Bauernstaat einführen würde.
Vergangenheit, zum Glück!
Immerhin wurde mir die Teilnahme an der Trauerfeier wenigstens relativ schnell auf Nachfrage beim dafür zuständigen Amt gestattet, allerdings nur die Teilnahme, nicht etwa ein darüberhinausgehender Aufenthalt im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Ich hatte also nur die Erlaubnis bei der Beerdigung und der anschließenden Feier im Garten von Olaf teilnehmen zu dürfen, im Anschluss hatte ich die sofortige Heimfahrt an den Stadtrand von Berlin ins „ferne“ Brandenburg anzutreten. Damit konnte ich aber gut leben, denn in diesen Zeiten war mehr weder statthaft, noch zu erwarten gewesen und immerhin war mir so eine Teilnahme an der Beerdigung immerhin von offizieller Seite durch die Behörden erlaubt worden. Indes schlug sich Olaf mit diversen Schwierigkeiten mit der Friedhofsverwaltung, den kontrollierenden Behörden, der Fertigung und Begrenzung der Teilnehmerliste, der Ausarbeitung eines Hygienekonzeptes zur Feierlichkeit sowie der Erfassung der Teilnehmerdaten für eine erforderliche Teilnehmerauflistung und dergleichen herum. Der Stress muss gar übermenschliche Ausmaße angenommen haben, aber er hat sich fleißig durchgekämpft und eine reibungslose gesetzes -und coronaverordnungskonforme heidnische Beerdigung und Beisetzungsfeier ermöglicht.

Zunächst hat er für eine Aufbahrung zum persönlichen Abschiednehmen in einem offenen Sarg für die zahlreichen Freunde, Kollegen und Verwandten von Pia gesorgt. Zeitversetzt war den in Mecklenburg wohnenden Trauernden damit ein ganz persönliches Abschiednehmen möglich. Für mich war dafür aus pandemierechtlichen Gründen zu dieser Zeit die Anreise nicht erlaubt, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dafür wenigstens bei der Beisetzung anwesend sein zu dürfen. Als nächstes schaltete Olaf an einem Abend eine Telefonkonferenz mit einigen Teilnehmern, bei der alle Teilnehmenden bei sich zuhause bei einem Onlinesumbel mit einem alkoholischen Getränk auf Pia tranken und Geschichten austauschten. Das war immerhin eine Möglichkeit trotz der Corona Einschränkungen gemeinsam bei einer heidnischen Zeremonie Pia zu gedenken und auf ihr Wohl zu trinken. Dann kam der Tag der Beerdigung. Olaf hatte einen Ablauf geplant, bei dem er selbst, sowie unser gemeinsamer Freund Rainer und auch ich mitwirken sollten, denn aufgrund der Teilnehmerbegrenzung wegen der Covid-19 Verordnungen auf maximal 20 Teilnehmer war es sinnvoll, dass einige Teilnehmer auch verschiedene Aufgaben übernahmen, so konnte beispielsweise ein Trauerredner eingespart werden, ebenso wie Personal zur Absenkung der Urne, womit es dann mehr Trauergästen möglich war teilnehmen zu dürfen, denn es durften ja zu keinem Zeitpunkt mehr als 20 Personen insgesamt anwesend sein. Da auf dem Friedwaldgelände dieses Friedhofs jede Form einer offenen Flamme verboten war, auch im zu dieser Zeit völlig verschneiten Winterwald, hatte ich die Aufgabe bekommen schon auf dem Parkplatz vor dem eigentlichen Friedhofsgelände für diejenigen Trauergäste eine Räucherung mit Räucherwerk zu machen, die dies gerne für sich in Anspruch nehmen wollten. Ganz in neuheidnischer, pragmatischer Tradition wurde dann den übrigen Teilnehmern angeboten als Ersatz für das glühende Räucherwerk vom Parkplatzgelände auf dem eigentlichen Gelände des Friedwaldes eine symbolische Reinigung durch ein Naturparfüm aus dem Ökokaufhaus welches auf Basis von Zitrusfrüchten hergestellt war, zu bekommen. So war eine Reinigung auch ganz ohne Flamme und Glut, durch angenehme Düfte, auf dem Gelände selbst möglich. Ideen muss man eben haben. Auf einer kleinen Erhebung im Friedwald hatte Olaf eine Stelle für die Urnenbeisetzung ausgewählt und dort bereits ein Gemälde (natürlich von ihm selbst in seinem Atelier gemalt) von seiner Pia aufgestellt und die Stelle auch bereits geschmückt, wobei er natürlich auch Hilfe gehabt hatte. Die Trauergäste begaben sich nun zu dieser Stelle und stellten sich mit dem nötigen Abstand darum auf. Olaf, Rainer und ich riefen nun die Göttin Frigga an und baten sie um Schutz und auch um Geleit für Pia. Dann wurden einige Hörner mit Met bzw. Bier gefüllt und Thor angerufen mit der Bitte diese Getränke zu weihen. Es folgten einige Anrufungen und Gebete für die Verstorbene. Im Anschluss musste Olaf allerdings immer alleine aus dem Trinkgefäß trinken, denn pandemiebedingt durfte das jeweilige Trinkhorn natürlich nicht, wie sonst üblich bei heidnischen Feiern, unter den Anwesenden herumgereicht werden. Die nicht getrunkenen Reste der Getränke wurden dann mit den im Umfeld des Eldaring inzwischen oft zu hörenden Worten: "Von den Göttern zur Erde zu uns, von uns zur Erde zu den Göttern", als Trankopfer für die Erde dargebracht und auf eben dieselbe gegossen. Schließlich wurde die Urne abgesenkt und es wurde eine Musikdarbietung von einer zuvor aufgebauten Musikanlage abgespielt mit einer der Lieblingsmelodien von Pia. Zwischendurch hatte ich noch die Aufgabe ein kurzes Gedicht zum Andenken an die verstorbene Freundin zu verlesen. Nun kam der Teil der Zeremonie zum Tragen, bei dem jedem Teilnehmer freistand ein paar kurze Gedanken zur Feier vorzutragen, wobei den Anfang dann natürlich Olaf selbst machte, gefolgt von den Kindern und anderen Verwandten und schließlich den befreundeten Trauergästen.
Ein Gast der so ganz anders als die anderen zu den Göttern sprach, war der evangelischen Pastor des Wohnortes. Wie üblich auf den Dörfern kondolierte er kurz nachdem Pia gestorben war, dem Hinterbliebenen. Aus dieser Geste des Respektes entwickelte sich ein langes Gespräch über Neuheidentum und Religion und letztlich die Teilnahme des Pastors an der neuheidnischen Beerdigung.

Als eine angenehme und von gegenseitigem Respekt getragene Geste empfanden dann während der Beerdigung auch alle heidnischen Gäste mit denen ich im Nachhinein sprach die Worte dieses evangelischen Pastors, der sich sehr rücksichtsvoll der überwiegend neuheidnischen Trauergemeinschaft angeschlossen hatte und nun auch ein paar bewegende Worte am Grab sprach. Das entsprach auch voll und ganz der zuvor von Pia immer gelebten Toleranz gegenüber andersgläubigen Menschen die ihr zeitlebens auch so oft von diesen zurück erwiesen wurde und nun auch bei ihrer Beerdigung von allen Beteiligten geübt wurde.
Ich gebe zu, dass selbst mir die ein oder andere Trauerträne bei der Beerdigung und den ergreifenden heidnischen Ritualen und Beiträgen über die Wangen lief. Mit Ende der Beisetzung begaben sich dann die Trauergäste zum Grundstück von Olaf, um dort im Garten noch gemeinsam eine kleine Trauerfeier zu begehen. Wir wären nicht überwiegend Heiden gewesen, wenn dabei nicht auch gelacht und fröhlich der Verstorbenen gedacht worden wäre. Es wurden heitere Momente, in denen alle noch die ein oder andere gemeinsam mit Pia erlebte Anekdote austauschten. Wer die mitunter sehr unterhaltsamen Figuren am Rande der Heidenszene kennt, mit denen wir manchmal gemeinsam zu tun hatten, die nicht immer ganz freiwillig, dafür hin und wieder recht aufdringlich und ungebeten, vor allem aber meist unautorisiert oder selbsternannt, zur Unterhaltung und unbeabsichtigten Belustigung der übrigen Heidenszene beitragen, kann sich in etwa vorstellen, dass im Verlauf der Feier noch viel und herzhaft gelacht wurde, als wir unsere Erlebnisse mit diesen Zeitgenossen austauschten. Ich bin mir sicher, dass dies auch im Sinne der Verstorbenen war, denn Humor hatte sie zweifellos. Einzig ich wurde nun doch wieder etwas betrübt, aber nur, weil ich ja noch eine Rückfahrt vor mir hatte und daher auf den Genuss alkoholischer, echt heidnischer Trauerbewältigungsgetränke verzichten musste. Aber auch in nüchternem Zustand habe ich die gesamte Feier als angenehm, würdig und so angemessen erlebt, wie es unter diesen Pandemiebedingungen überhaupt nur möglich erschien, ein heidnisches Begräbnis durchzuführen. Den Einschränkungen der Covid-19 Verordnungen geschuldet hatte Olaf dann noch eine pragmatische Idee, er beschloss eine größere heidnische Veranstaltung zum folgenden ersten Jahrestag von Pias Sterbedatum zu machen und dann ein heidnisches Gedenkblot zu feiern und das dann hoffentlich bereits ohne die lästigen, wenn auch zeitweise nötigen, Pandemievorschriften.
Wenn der Anlass selbst auch überaus traurig war, so lässt er zumindest erkennen, dass es also im Jahr 2021 und auch schon seit einigen Jahren davor, so viele Jahrhunderte nach dem Ende offen gelebter heidnischer Traditionen, wieder möglich ist in Deutschland eine heidnische Bestattung mit Bezug zu den alten Göttern und Göttinnen unserer Vorfahren durchzuführen. Selbst unter den schwierigen Bedingungen einer Pandemie und deren momentanen einschränkenden Vorgaben und unter Beachtung der ansonsten sowieso immer gültigen Beschränkungen aufgrund Friedhofsordnungen und allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen. Das Neuheidentum hat inzwischen offensichtlich einen Status erreicht, in dem es aus einem langen Schattendasein tritt und auf dem Weg ist, seinen ganz normalen Platz in der Gesellschaft einnehmen zu können indem es einfach gelebt wird und sich deren Angehörige bemühen durch pragmatisches Planen und konstruktives Zusammenarbeiten mit anderen Institutionen und manchmal auch etwas Hartnäckigkeit im Umgang mit diesen, etwas zu erreichen.

Ein Nachtrag sei mir noch erlaubt, der umsichtigen Planung und der Vernunft der teilnehmenden Trauergäste, sowie deren umsichtigem Verhalten und dem Hygieneplan war es wohl auch zu verdanken, dass tatsächlich keine Neuerkrankungen an Covid-19 durch die Teilnahme an dieser heidnischen Beisetzung stattgefunden haben und alle Teilnehmer die Feier genauso gesund verlassen haben wie sie diese aufgesucht hatten. Unsere Götter und Göttinnen waren wohl auch mit uns, vielleicht hat ja auch Pia ein gutes Wort zu unserem Schutz bei ihnen eingelegt. Jedenfalls scheinen sich umsichtiges Handeln, Vernunft, geschicktes Planen und eine heidnische Bestattung nicht gegenseitig auszuschließen.

(Bilder mit freundlicher, ausdrücklicher Genehmigung von O. u. E. Hoppe)
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Aethelstan1984
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Re: Eine neuheidnische (Asatru) Beerdigung 2021

Beitrag von Aethelstan1984 »

Vielen Dank für diesen Bericht! Das Thema finde ich spannend und wichtig. Wäre dein Beitrag nicht vielleicht auch was für die Herdfeuer?
Heil Baldur, Heil Siegvaters Sohn,
der die Schöpfung wird leiten, wenn Wotan fällt
Heil dem Lichtbringer,
der noch rasten muss hinter Hels Pforten.
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volker
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Re: Eine neuheidnische (Asatru) Beerdigung 2021

Beitrag von volker »

Aethelstan1984 hat geschrieben: 02.04.2021, 10:15 Vielen Dank für diesen Bericht! Das Thema finde ich spannend und wichtig. Wäre dein Beitrag nicht vielleicht auch was für die Herdfeuer?
Danke sehr, ich habe es gestern bevor ich es hier eingestellt hatte, tatsächlich als Vorschlag bei der Herdfeuer-Redaktion eingereicht.
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Re: Eine neuheidnische (Asatru) Beerdigung 2021

Beitrag von [+] »

Nach Abtrennung der Nebendiskussion nur noch mal pro forma:
Danke für den guten Bericht. :)
Nur ein Narr betet erst den Leichnam an.
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