Dennoch möchte ich hier einige Gedanken weiterspinnen, die sich neulich bei einem Gespräch ergeben haben, ob und wie eine solche perfekte (besser: "ideale") Übersetzung denn möglich wäre.
Schaun wir dazu mal über den germanischen Tellerrand. Die Juden und Christen, die für ihre Schriftfixierung in der Religion ja berüchtigt sind, haben seit Jahrhunderten einen Haufen Irrtümer und Fehler in ihren Überlieferungen und dienen hier eigentlich schon mal als Negativbeispiel... auch bei dem Versuch, dem entgegenzuwirken, wer sich mal das Ergebnis der aufwendig und intensiv durchgesetzten "Einheitsübersetzung" der letzten Jahrzehnte angeschaut hat, weiß, was dabei herauskommt...
Nun ist im Asatru diese Schriftfixierung zum Glück nicht so stark ausgeprägt, dennoch gibt es auch hier entsprechende Probleme. Ich erinnere mich hier an den Dialog zwischen Gaute und Harvion im Asatruforum, als es um die berühmte Stelle der Völuspa ging:
Völuspá, 65.
Þá kömr inn ríki
at regindómi,
öflugr, ofan,
sá er ollu ræðr.
Harvions Übersetzung:
Da kommt heran/ein, mit Macht/Herrschaft
zum Göttergericht
öflugr, von oben,
wie er alles berät/beherrscht.
(Originaldiskussion: http://asatruforum.de/index.php?page=Th ... stID=44128)
Man erkennt an Stellen wie dieser, dass eine möglichst genaue Übersetzung nicht nur wichtig, sondern auch ziemlich holprig zu lesen ist, oder wie es auch Oertel schreibt:
Ob und wie eine Übersetzung von derlei Texten also ideal ist, hängt vollkommen davon ab, wofür man ihn braucht. Für eine Kultfeier ist ein klangvolles und ausdrucksstarkes Lied sicher passender, zum Studieren der Überlieferung tut es da zB die Reclam-Edda, bei der Stabreim und Versmaß völlig zugunstern einer detailgetreuen Übersetzung zurückgehalten sind.Außerdem kommt das Altnordische - darin dem Englischen ähnlich - mit sehr viel weniger Wörtern und Silben in einer Zeile aus, als das Deutsche es mit seinen vielen Pronomen, Präpositionen und Artikeln vermag. Es ist also schlicht unmöglich, Versmaß, Stabreim und Wortbedeutung gleichermaßen getreu ins Deutsche zu übertragen. Zwangsläufig muss dabei eines immer auf Kosten des anderen gehen. Bei der grundsätzlich nötigen Entscheidung des Übersetzers, ob inhaltliche Bedeutung möglichst genau wiedergegeben oder aber Reim und Rhythmus gerettet werden sollen, sind verständlicherweise meistens Kompromisse angestrebt worden, die bisher aber leider immer zu Gunsten der beiden letzgenannten Elemente ausfielen, und das häufig mit dem katastrophalen Ergebnis, dass man letztlich keinem der Elemente mehr gerecht wurde und seltsame Versungeheuer entstanden, die man nur noch verstehen kann, wenn man das Original kennt.
Welche Übersetzungen verwendet ihr und wofür? Und wäre es sinnvoll, sich tatsächlich in den nächsten Jahren mal an so was wie einer für germanische Heiden brauchbaren "Einheitsübersetzung" zu versuchen?