Ohwei, diese Natur-Diskussion hab ich einige Jahre lang in einem Seminar geführt bei dem ich Hiwi war
Um zu sagen ob der Mensch Teil der Natur ist, muss man erstmal überlegen, was "Natur" bzw. "natürlich" denn überhaupt bedeutet bzw. in welchem Kontext man das Wort gerade nutzt.
Natur als Gegenteil zu Technik und Kunst: darüber haben sich schon die Griechen ihre Gedanken gemacht, denn vom Menschen erzeugte technische Dinge oder Kunst sind anders, als Dinge die in der Natur entstanden. Der Unterschied zwischen Natur und Technik/Kunst liegt dann darin, dass Natur sich selbst weiter entwickelt und reproduziert, Technik/Kunst nur vom Menschen reproduziert oder in seinem Wesen verändert werden kann.
Natur als "ursprünglich" anstelle von "zivilisiert/weitergehend entwickelt oder verändert": z.B. bei der Vorstellung von "Naturvölkern" oder auch einfach bei Ressourcen (Tonklumpen aus der Erde vs. getöpferte Vase).
Dann gibt es noch
Natur als Gegenbegriff zu Satzung, bzw. zu willkürlichen Konstrukten wie vom Menschen gemachten Gesetzen: Naturgesetze gelten immer, waren immer da, werden immer da bleiben. Ein Parkverbot ist in dem Sinne nicht natürlich gegeben, sondern eine Vereinbarung (an die sich auch nicht jeder hält).
Natürlich vs. gekünstelt oder verderbt: Hierbei ist Natur eher ein Normungsbegriff, wenn man an eine Art Schöpfungsordnung glaubt. Das bringt wieder den Bogen zur ehemaligen Diskussion über Homosexualität und ob diese natürlich sei oder nicht. Nur weil etwas "in der Natur" vorkommt, ist es nach dieser Definition nicht zwangsläufig natürlich, sondern nur dann, wenn es der Schöpfungsordnung entspricht. Diese ist quasi eine Version der o.g. Satzung, nur dass man sie als von einem höheren Wesen, der Natur oder dem Kosmos selbst vorgegeben betrachtet und nicht als vom Menschen willkürlich festgelegt (wo der Unterschied dazwischen besteht möge jeder für sich abstecken).
Kontrastdefinition: Natur ist alles, was vor uns da war, plus das was aus diesen Komponenten (Material, oder je nach Ansicht bis auf Ebene der Atome, oder auch immaterielle "Komponenten" wie Gedanken, Gefühle) werden kann. Dann ist alles was existiert Natur, auch der Mensch selbst und seine Technik/Kunst. Der Mensch kann nach dieser Definition auch niemals "raus" aus der Natur, solange er keine künstliche Materie aus dem Nichts entstehen lassen kann, ohne auf irgendetwas zurückzugreifen, das vorher schon durch die Natur existierte, und sei es nur Sonnenlicht, Luft oder ein Gedanke. Zu dieser Definition ähnlich ist auch, wenn man
"Natur" synonym zu "(natürliche) Umwelt" verwendet.
Wenn wir diesen Begriff für Natur hier verwenden, ist die Diskussion praktisch irrelevant, weil der Begriff einfach alles umfasst und somit nichts Spezifisches damit beschrieben werden kann. Da wäre ein anderer Begriff für diese Art Natur irgendwie sinnvoller, eher so eine Art "Kosmosvorstellung" vom großen Ganzen, aber eben was anderes als der Naturbegriff der zur Abgrenzung verwendet wird.
Soviel erstmal zum Begriff Natur/Nichtnatur. Sofern wir die Kontrastdefinition und die gewisserweise wertenden Definitionen (Satzung und gekünstelt/verderbt) mal außer Acht lassen, dann ist die interessante Überlegung, wo denn genau die Grenzen sind:
- Wo wird denn der Ursprung angesetzt, d.h. ab welchem Moment zwischen Faustkeil und Schlagbohrer ist ein Werkzeug nicht mehr natürlich und das Naturvolk ist kein Naturvolk mehr? Im Extremfall entfernen wir dann auch zahlreiche Tierarten aus der Natur, weil diese Werkzeuge verwenden.
- Eine
künstliche Intelligenz kann sich verändern und ggf. irgendwann auch reproduzieren. Geht die dann irgendwann von technisch/künstlich in natürlich über?
Vielleicht sind die Grenzen einerseits (in beide Richtungen) überschreitbar. Vielleicht liegen sie je nach individueller Ansicht woanders, oder man kann sie gar nicht wirklich festlegen, sondern nur als Richtungsangabe verstehen. So wie es kein absolutes rechts und links gibt, sondern es immer darauf ankommt, wo man denn steht und wohin man blickt. So kann man vielleicht eine Sache als natürlicher bzw. künstlicher als eine andere definieren, aber keinen festen Punkt, ab dem etwas von natürlich auf künstlich oder umgekehrt wechselt.
... Dass man unter "Natur" heute auch oft eine verklärte Vorstellung hat, ist wohl auf die Romantik und die damalige Idealisierung der Natur zurückzuführen. Ich erinner mich an Waldspaziergänge mit Leuten, die sich beschwerten, dass da ja überall kaputte Bäume und abgebrochene Äste rumliegen würden, räumt denn hier keiner mal den Wald auf?! (komischerweise kommt aber niemand auf die Idee im Wald das Laub zusammen zu harken, also muss doch da irgendwo eine unnatürliche willkürliche Vereinbarung in den Kopf gesetzt worden sein, wie ein Wald auszusehen hat)
Und die Verhaltensweise des modernen Menschen empfinde ich eigentlich als ziemlich natürlich. Das Individuum versucht im Normalfall immer, sich anzupassen und bestmöglich in der Umgebung zu überleben, die auch zum großen Teil einfach aus der Gesellschaft besteht. Die für die Anpassung benötigten Fähigkeiten haben sich aber verändert. Wer heute ein guter Jäger mit Steinschleuder wäre, auch bei strömendem Regen Feuer machen kann und ein kilometerweit perfekt funktionierendes Adlerauge hat, dem bringt das gegenüber dem Brillentragenden Couchpotato mit zwei linken Händen nix, wenn er keinen PC bedienen kann, mit Geld nicht klarkommt oder in der Gesellschaft aneckt. Auch "früher" haben Menschen sich nicht unbegrenzt vermehrt, es haben immer nur so viele überlebt wie eben von Umgebung und Gesellschaft gut ausgehalten werden konnten. Dieses Verhalten hat sich eigentlich auch nicht geändert, nur die Kapazität der für die Anpassung an heutige Verhältnisse möglichen Kinder. Bitte hier auch unterscheiden: Sexualtrieb ist nicht gleich Kinderwunsch, nur weil Menschen viele Kinder bekamen hieß das nicht, dass sie auch viele wollten. Was zuviel war starb entweder oder die gesamte Gruppe hatte insgesamt weniger und litt. Empfängnis vermeiden oder Neugeborene töten war aber auch riskant, weil man ja nicht weiß, wer noch so alles wegstirbt und die Gruppe dadurch wieder schwächen könnte. Neu ist jetzt nur die Möglichkeit, die Anzahl der Gruppenmitglieder zuverlässig und langfristig auf das Optimum der Gruppe (nicht des Landes oder gar Planeten!) zu planen. Das befriedigt aber nur das natürliche Bedürfnis für die jeweils optimale Gruppengröße.
Nicht das Verhalten, sondern die Umgebung des Menschen ist nach der obigen Abgrenzung "ursprünglich/natürlich vs. zivilisiert/entwickelt" jetzt weniger natürlich als früher. Aber vielleicht ist ja gerade diese Entwicklung zu einem unnatürlicheren Zustand auch wieder ganz natürlich, da sie ja durch das natürliche Verhalten eines natürlichen Wesens zustande kam?
Ebenso natürlich ist dann auch irgendwann der Zusammenbruch des Systems ab einem gewissen "Tipping Point" wie bei Ökosystemen...
Schwenk zu den Schuhen: Ich hab damit auch mal geliebäugelt. Nicht weil ich dann keine dreckigen/kalten Füße kriege (bin auch schon ausgiebig in Modder und Schnee barfuß gelaufen), sondern weil mir gesagt wurde die Dinger dämpfen gut. Beim Barfußlaufen auf
unnatürlichem Asphalt machen nämlich meine Knie nicht mit, die Schuhe würden in dem Sinne den harten Boden wieder etwas kompensieren, so dass mein
natürlicher Bewegungsapparat damit wieder klar kommt. Die
natürliche Evolution hat ja bislang nichtmal die Anpassung an den
unnatürlichen aufrechten Gang komplett geschafft, und da wird jetzt schon der Schwierigkeitsgrad durch Asphaltböden erhöht...
Komisch angeguckt wird man
natürlich sowohl mit diesen als auch ohne jegliche Schuhe