Hi Krischan und alle,
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<BR>das Problem ist, daß die Literatur zur Hexenverfolgung so umfangreich ist und nicht nur aus wissenschaftlicher oder zumindest seriöser Literatur besteht, sondern noch jeder Möchtegern-Hexer und jede -Hexe darüber ein Buch geschrieben hat.
<BR>Bei so einem offensichtlichen Verbrechen wie der Hexenverfolgung machen sich viele Gruppen auch gerne zum Opfer bzw. nutzen den Sympathiebonus mit den Opfern (Himmlers \'Hexenverfolgungs-Forschungen\', der die Feministinnen der 80er Jahre auf eine bizarr grandiose Weise aufgesessen sind.
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<BR>Dennoch kann man ja mal einige Parallelen ziehen und Gedanken spinnen, die vielleicht bei der Literatursuche helfen:
<BR>wir wissen, daß zunächst, bevor jeder jeden denunziert hat, ältere, alleinstehende und arme Frauen häufiger Opfer der Verfolgung wurden. Auch Hebammen waren sehr häufig betroffen. Dazu muss man wissen, daß im ausgehenden MA und in der frühen Neuzeit die Hebammen keine formale Ausbildung besaßen. Sie wurden von den Frauen des Ortes sozusagen gewählt, weil sie entweder die meiste Erfahrung im Kinderkriegen besassen, oder ständig verfügbar und vertrauenswürdig waren. Manche erlernten das nötige Wissen bei der Mutter oder der Schwester. Die Geburt und die damit zusammenhängenden Rituale und Traditionen spielten sich in einem weitgehend männerfreien Raum ab (zumindest in Ortschaften, in abgelegenen Höfen war das iR nicht machbar). Die Hebamme eines Ortes war idR auch für Totenwaschungen und Aufbahrungen zuständig, sie stand buchstäblich und ohne historische Verklärung ihres Amtes zwischen Leben und Tod, was im Gegensatz zur heutigen landläufigen Meinung für ein geringes Ansehen in der Geminschaft sorgte, bedingt durch die Abwertung aller weiblichen Angelegenheiten und Vorgänge. Pfarrern und Ärzten war diese weibliche Dominanz und Abwehr einer (überwiegend männlichen) Kontrolle ein Dorn im Auge.
<BR>Dass die Hebamme ein gerütteltes Maß an Kräuterwissen besass, welches über das normale der damaligen zeit hinausging, vielleicht auch Mittel zur Beendigung einer Schwangerschaft kannte und zudem Zugang zu allen möglichen Rohstoffen hatte, die man für die (zeremonielle, eher christliche) schwarze Magie benötigte, machte sie zu einem idealen Opfer.
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<BR>Die Reformation verschlechterte die Situation aller Frauen in nicht unerheblicher Weise, da viele der Reformatoren ausgesprochene Frauenhasser waren (dies zeigt sich zB in der vollständigen Ablehung des Marienkultes und der absoluten Dominanz der Vater-Sohn-Geist-Triade). Nicht, daß die katholische Kirche ein frauenfreundlicher Haufen gewesen wäre - was sich da zeigte, war ja auch ein Ausdruck des Zeitgeistes, der sich nicht auf die Konfession beschränkte.
<BR>Während die Verfolgungen im späten MA hauptsächlich eher ketzerische, also glaubensabweichende Bestrebungen innerhalb des christlichens Glaubens auszurotten versuchte, nahm die Verfolung mit Beginn der Neuzeit allgemeinere und unberechenbarere Züge an, bedingt durch die Möglichkeit der anonymen Denunziation und der Erpressung von Geständnissen durch Folter.
<BR>Wir haben es also zu Beginn der frühen Neuzeit mit einer Massenhysterie zu tun, ausgelöst durch Fanatismus, Frauenfeindlichkeit und der Angst vor Dingen, die sich mit dem damaligen Wissen der Zeit nicht erklären liessen (oder deren Erklärung nicht erwünscht war).
<BR>Alles in allem ein schwer zu steuernder Prozess, der aber nichtsdestotrotz vielen Interessen förderlich war:
<BR>hier zeigte sich die u.a. Möglichkeit, das von mehr oder weniger einfachen nichtstudierten Frauen dominierte Feld der Geburtshilfe unter die Kontrolle der Ärzte und Pfarrer zu bringen (männlich und studiert). Die Ärzte hatten ein Interesse an der Materie, an der Ausschaltung von Konkurrenz (Verdienst!) und die Pfarrer wollten den volksmagischen \'Klimbim\' beseitigen, der mit der Geburt einherging. Hier kommt dann mglw. auch die \'niedere Mytholgie\' ins Spiel, zB bei den Opfern rund um die Geburt (Nornenopfer, Gebeten und Zauberformeln zur Erleichterung der geburt etc.).
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<BR>Es zeigt sich, daß zum Höhepunkt der Hexenverfolgung während des Dreißgjährigen Krieges die Forderungen nach Ausbildung der Hebammen in staatlichen Ausbildungseinrichtungen und Krankenhäusern immer lauter werden und schließlich nur noch Hebammen praktizieren dürfen, die \'geprüft\' sind. Natürlich unter der Aufsicht von Ärzten. Mehr und mehr werden v.a. in Städten nicht Hebammen, sondern Ärzte und männliche Geburtshelfer zu Geburten gerufen. Es werden geburtshilfliche Instrumente entwickelt (Zangen etc.), die von Hebammen nicht benutzt werden dürfen.
<BR>Der Siegeszug dieser damals initiierten technisierten und männlich dominierten Geburtshilfe hat sich bis heute fortgesetzt.
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<BR>Langer Rede kurzer Sinn:
<BR>ich sehe da durchaus einen Zusammenhang zwischen dem Wunsch maßgeblicher Autoritäten, die vorhandene Hysterie dazu zu nutzen, ein bestimmtes Wissen auszurotten. Ich will nicht behaupten, daß die Hexenverfolgungen alleine den Zweck hatten, männliche Kontrolle auszuüben und eine bestimmte soziale Gruppe auszurotten, wie das in manchen Kreisen gerne gesehen wird, aber dennoch zeigt ein \'Blick von oben\', daß die Massenhysterie eine Entwicklung beschleunigte oder beförderte, die manchem gut in den Kram gepasst hat.
<BR>Natürlich findet um dieses Thema eine wissenschaftliche Auseinandersetzung statt, die nicht wenig von ideologischen und weltanschaulichen Einflüssen diktiert wird (zB Ehrenreich/English München 1975 und dgl.). Wie gesagt, die Hexenverfolgungen lassen sich gut instumentalisieren, da muss man wirklich die Spreu vom Weizen zu trennen versuchen.
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<BR>Zur Literatursuche würde ich mich aber eher in die volkskundlichen und regionalhistorischen (weil häufig interdisziplinären) Institute gehen und volksmedizinische Bibliographien wälzen (Heilungssprüche, Segen, Salben auf volksmagischer Grundlage etc.)
<BR>Da Krischan ja quasi an der Quelle sitzt, lohnt vielleicht ein Blick <!-- BBCode u2 Start --><A HREF="
http://www.uni-muenster.de/RWZeitschrif ... WZ_Inh.htm" TARGET="$siteconfig[externallinks]">hier</A><!-- BBCode u2 End --> hinein.
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<BR>Zur volksmedizinischen bzw. medizinhistorischen/soziologischen/ethnologischen Literatursuche im Zshang mit Geburt und Hebammenwesen kann man mal in die Aufsätze von Jürgen Schlumbohm, Barbara Duden, Eva Labouvie und Jacques Gelis reingucken, hochinteressant, aber nur indirekt mit dem gesuchten Thema zusammenhängend.
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<BR>Wer bis hierhin mitgelesen hat, der kriegt eine Medaille mit der Aufschrift \'Ich habe Geduld mit Plaudertauschen\' und einen Gummipunkt. <IMG SRC='images/forum/smilies/icon_wink.gif' alt='Wink'>
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<BR>Liebe Grüße
<BR>Ulrike